- Edictor der
Staufer -
Michael von Wallenzin ist mein Name, aber ich werde auch Michel der Lederer,
der Bogner, oder der Musicus genannt. Wie kann einer der Namen so viele
haben, willst du wissen?
Nun – das kam so:
Geboren wurd ich in Wallenzin, im Stammland der Staufer, als zweiter Sohn des
Burgherrn Walter von Wallenzin und seiner Gattin Ingeburga. Als Kind liebte
ich es, schon früh am Morgen in der Burg herum zu schleichen, das Gesinde zu
beobachten und mit deren Kindern zu spielen und zu balgen. Man kann viel von
den Einfachen lernen, und so sog ich alles wissbegierig in mich auf.
Besonders gerne hielt ich mich beim alten Konrad auf – er war der
Lederer und Sattler in meines Vaters Diensten. Von ihm lernte ich
Schwertgehänge, Gürtel und Taschen zu machen, aber auch Köcher,
Lederharnische und anderes nützlich Zeug. Er zeigte mir, wie man beim Gerber
das beste Leder findet, wie man gepichte Fäden herstellt und wie eine Naht
sein muss, damit sie hält. Dies Handwerk sollte mir im späteren Leben noch
nützlich sein.
Mein Vater hielt nicht viel von meiner „Kunst“ – „Du
bist ein „von Wallenzin“ und zu höheren Diensten berufen, also
halt dich in Zukunft vom Gesinde fern.“, schalt er mich. Damals war ich
schon Page, musste die edlen Damen bedienen, lesen, schreiben und beten
lernen, aber auch, dem Herrn sein Dank, die nützlicheren Dinge, wie reiten,
fechten und Bogen schießen. Letzteres war mein liebstes Metier, und so nahm
mich der Vater oft mit auf die Jagd, wo wir den Füchsen, Rehen und Hirschen
nachstellten. Als mein älterer Bruder Andreas die Schwertleite erhielt,
sollte sich auch mein Schicksal besiegeln. Der Abt des Klosters zu Lorch
redete an diesem Festtage lange mit meinem Vater. Er wollte mich unter seine
Fittiche nehmen, damit einmal ein großer „Kirchenmann“ aus mir
wird. „Wer ist wie Gott?“ – das ist die Bedeutung deines
Namens, Bursche“ – so sprach der Abt zu mir – „Komm
mit ins Kloster und lass es uns herausfinden.“
Aber das war nun das Letzte was ich wollte - ohne groß nachzudenken beschloss
ich noch in der selben Nacht zu fliehen. Nur den mittlerweilen fast blinden
Konrad weihte ich in meine Pläne ein. „Ich hab es kommen sehen, Michel,
du bist der Zweitgeborene; die Burg wird an deinen Bruder gehen und du stehst
leer da. Als Kirchenmann kannst du trotzdem zu Macht und Würden gelangen
– überlege dir gut was du tust!“, so sprach der Alte zu mir. Mir
stand der Sinn nicht nach Kutten, kargem Klosterleben, Disziplin und Gebeten.
Ich wollte die Welt sehen, die die Troubadoure beim Fest besungen hatten,
Abenteuer erleben, holden Jungfern Minnedienste antragen – schlicht,
mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Der treue Konrad kannte mich gut
– er wusste längst wonach mein Sinn stand – und er war darauf
vorbereitet: „Ein Pferd nennst du ja dein Eigen“, sprach er,
,aber dein Sattel und Zaumzeug hält keine lange Reise mehr aus. Als meine
Augen noch besser waren, habe ich dir, weil du mir so fleißig zur Hand
gegangen bist, einen ganz besonderen Sattel gefertigt – schau, unter
der Beintasche versteckt, ist dein Familienwappen eingearbeitet; niemand wird
es gewahr, außer dir, denn du sollst deine Herkunft nicht vergessen, und eines
Tages wirst du hierher zurückkehren. Im Traum habe ich es gesehen. Ich bete
zum Allmächtigen, dass ich das noch erleben darf. Hier hast du noch einen
Beutel mit Wegzehrung. Jetzt packe dich – die Zeit ist günstig: Der
Mond scheint hell, und die Gäste deines Vaters sind allesamt betrunken und
schläfrig. Reite am Kloster vorbei und wende dich im Tal nach Westen. Du
wirst auf Pilger stoßen die dem Weg zum Heiligen Jakob folgen. Schließe dich
Ihnen an und du wirst sicher in die Fremde gelangen. Und nun leb wohl!“
Der Alte nahm mich väterlich in seine Arme. Es war das letzte Mal, dass ich
ihn gesehen habe.
Seinem Rat folgend, ritt ich mit fast 14 Jahren von dannen und schloss mich
den Jakobspilgern an. Viele Stunden könnt ich euch berichten, von der Reise
ins Frankenland, dem Überfall auf unsere Reisegesellschaft, dem ich nur Dank
meines treuen Rosses entkam, meiner Zeit mit den Gauklern, bei denen ich
meine große Liebe „die Musica“ kennen lernte. Ich lernte aber
auch den Hunger, die Kälte und die Einsamkeit kennen. Einen harten Winter
überstand ich nur, weil ein Kreuzfahrerhaufen noch Handwerker suchte. Als
Lederer im Tross und Bogenschütze lernte ich den Krieg kennen und die Bestie
Mensch, die im Namen ihres Gottes ganze Völker niedermetzelte. „Gott will
es!“, dieser Schlachtruf war uns in Fleisch und Blut übergegangen, aber
nach und nach kamen mir Zweifel: Konnte Gott dieses Blutbad tatsächlich
wollen? Warum fühlte ich mich schuldig, wenn es doch Gottes Wille war? Nur
wenig später sollte die Antwort erhalten: Im hügeligen Gelände waren wir in
einen Hinterhalt geraten. Das Schicksal fügte es, dass ich plötzlich einem
muslimischen Jüngling Aug in Aug gegenüberstand. Ich hatte den Pfeil bereits
eingelegt, bevor er den seinen noch aus dem Köcher ziehen konnte. Ich sah die
Angst in seinen Augen – diese dunklen, tiefen Augen. Es trommelte in
meinem Kopf „Zögern kostet dich das Leben“- hörte ich die Stimme
des Hauptmanns in meinem Kopf. Aber ich konnte den Pfeil nicht ablassen. Ein
stechender Schmerz brachte mich wieder zur Besinnung. Und dann lag ich da,
konnte mich kaum regen und neben mir lag er, seine dunklen Augen starr und
tot auf mich gerichtet, die Hand noch unschlüssig am Köcher. „Wir
werden uns auf der anderen Seite wieder sehn, mein Freund.“ Das war
mein letzter Gedanke ehe es dunkel wurde. Später erzählte man mir, wir wären
in einen Pfeilhagel geraten, und dass ich nur knapp dem Tod entronnen wäre.
Man hatte mich nach Akkon in ein Hospital des Deutschritterordens gebracht.
Auch erzählte man mir, dass mein treuer Hengst Salomon nur mit Gewalt von
meiner Seite geführt werden konnte. Man entdeckte das Familienwappen am
Sattel und schickte mich im Gefolge einiger Deutschritter ins Stauferland
zurück. Dort lernte ich, unweit meiner Heimat, Rainald von Dassel, den Kanzler
des Kaisers kennen, der, wenn er im Lande war, von einem verrückten Haufen
von Abenteurern, Haudegen, Gauklern und Musicussen, edlen Damen und Mätressen
umgeben war. Hier fand ich ein zweites Zuhause, Kurzweil und Muse und vor
allem gute Freunde. So nun weißt du, woher die Namen kommen. Solltest du
jedoch mehr wissen wollen – dann musst du dich mit mir ans Lagerfeuer
setzen und in den sternenklaren Himmel blicken, den unser Herrgott
gleichermaßen über alle Menschenbrüder als Schutzdach gespannt hat. Und
vielleicht erzähle ich dir dann, bei einem guten Humpen Met, meine ganze
Geschichte.